Wutmaschine Social Media

47 Minuten nach Mitternacht am ersten Jänner kommt Asel zu Welt. Das Wiener Neujahrsbaby ist 51 Zentimeter groß, 3460 Gramm schwer und der ganze Stolz seiner Eltern. Weil Asel das erste in Wien geborene Kind im neuen Jahr ist, gibt es ganz nach Tradition Berichte über das Neugeborene - und so findet die Geschichte seinen Weg in Social Media. Was sich dort, in den sogenannten „Sozialen Medien“, dann abspielt, ist kaum zu fassen: „Wieder Inzucht“, „Der nächste Terrorist ist geboren“, ein sich übergebendes Emoticon. Der Grund ist der Name des Mädchens und das Foto, auf dem seine Mutter ein Kopftuch trägt. Ein Shitstorm bricht los, hunderte hasserfüllte Kommentare richten sich gegen ein Baby, das noch keine Woche alt ist.

#GegenHassimNetz

Hass im Netz ist kein neues Phänomen. Wer sich in den Online-Foren diverser Tageszeitungen umsieht kann Beleidigungen, Mobbing und Verhetzung schon lange beobachten. Mit den populären Social Media hat auch ein neues Ausmaß des digitalen Hasses Einzug gehalten. Ob das Neujahrsbaby, der unterkühlte fünfjährige Flüchtling, der in einem Güterzug am Brenner gefunden wurde, oder auch der Selbstmord des elfjährigen Flüchtlings im Bezirk Baden: In all diesen Fällen herrschte online ein aggressiver, menschenverachtender Ton vor. Viele dieser Postings rufen zu Gewalt und zu Mord auf. Menschen, die am Wirtshaustisch und im Büro immer höflich sind, stehen mit ihren Postings knietief im Strafrecht.

Als ich das Digitalisierungsressort als Staatssekretärin übernommen habe war klar, dass es Handlungsbedarf gibt. Was fehlte war zugängliche Expertise, war verfügbare Information. Um hier entgegenzuwirken, habe ich mich für die Gründung der Beratungsstelle #GegenHassimNetz eingesetzt. An diese europaweit einzigartige Stelle kann man sich wenden, wenn man selbst betroffen ist oder digitalen Hass an anderen erlebt. Kostenlos nimmt die Beratungsstelle eine Ersteinschätzung vor und klärt über die eigenen Möglichkeiten auf.

Mindestens genauso wichtig ist die Prävention. Ich habe daher eine Ausbildung zum Digital Courage Messenger ins Leben gerufen, um engagierten Personen aus der Zivilgesellschaft das Rüstzeug mitzugeben, gegen „Hate Speech“ und Verhetzung aufzutreten. In der Digital Roadmap, dem Fahrplan für die digitale Entwicklung der Republik, war mir die Verankerung von digitaler Bildung in der Schule wichtig. Dabei geht es nicht nur um die Herausbildung technischer Fähigkeiten, sondern vor allem auch um Bewusstseinsbildung und den richtigen Umgang mit Social Media.

Social Bots und Echokammern

Hasspostings können grosso modo in zwei Ebenen unterschiedlicher Wirkungskraft unterteilt werden: Wir unterscheiden zwischen jenen Falschinformationen und Angriffen, die durch Individuen passieren, und jenen, die durch politische Gruppierungen bewusst gestreut werden.

Letztere sind in höchstem Maße demokratiegefährdend. Ob user-generiert oder maschinell erzeugt, beispielsweise durch sogenannte Social-Bots, verfolgen diese Postings einen klaren politischen Zweck: Alle, die anderer Meinung sind, sollen de-legitimiert oder mundtot gemacht werden. Dabei werden sie durch wiederholte Angriffe oder durch die Verbreitung von Falschinformationen isoliert. Die schiere Menge an verbreiteten Fehlinfos erzeugt eine abweichende Realität, ein Bild von der Welt, wie sie eigentlich nicht existiert. Durch gezielte Steuerung und maßgeschneiderte Anpassung an die Algorithmen der Social Media-Kanäle werden den Zielgruppen vermehrt Inhalte angezeigt, die ihrer eigenen Meinung entsprechen. Die KonsumentInnen dieser Falschinformationen befinden sich dann in sogenannten Echokammern, in die abweichende Meldungen, wenngleich mit höherem Wahrheitsgehalt, nur schwer vordringen können.

Laut statt ehrlich

Wir erkennen heute, dass das Phänomen „Hass im Netz“ viel zu lange unterschätzt wurde. Wir wissen, dass es um mehr geht als um einzelne Individuen, die entfesselt und hemmungslos im Netz agieren und glauben, dass das Internet ein straffreier Raum ist. Es geht um mehr als nur darum, dass es auf Social Media enthemmte Diskussionen gibt. Wir erleben vielmehr, dass diese Entwicklungen unsere Demokratie und unseren Rechtsstaat auf den Prüfstand stellen.

Es liegt nun an uns allen, uns diesen Gefahren in den Weg zu stellen. Zivilcourage zu leisten, die Kräfte der Vernunft zu bündeln und die Wahrheit den Falschinformationen gegenüberzustellen ist die Aufgabe aller, die im digitalem Hass beobachten. Wir müssen online widersprechen, müssen gegen die Falschinformationen argumentieren und müssen das Internet zu einem Raum der Chancen, anstatt zu einem Raum der Wut machen. Die Mehrheit der Menschen auf Social Media postet selbst nicht zu kontroversiellen Themen, eine kleine Minderheit bestimmt online den Diskurs. Momentan dominieren die Lautesten, nicht die Ehrlichsten. Holen wir uns das Internet zurück!

Autorin: Staatssekretärin außer Dienst und Nationalratsabgeordnete Muna Duzdar

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