"Der Nationalismus ist eine Sackgasse"

Nationalismus, Brexit und Großkonzerne, die sich aussuchen, wo sie die niedrigsten Steuern zahlen. Andreas Schieder, SPÖ-Spitzenkandidat für die EU-Wahl, spricht im Interview über Europas Probleme – und über seine Hoffnungen.

Ende Mai findet die neunte Direktwahl zum Parlament der Europäischen Union statt. Derzeit scheint das einzige europapolitische Thema aber der Brexit zu sein...

Schieder: Der Brexit ist die Folge einer verantwortungslosen Politik der Konservativen. Über viele Jahre haben sie in Großbritannien Öl ins Feuer des Nationalismus gegossen. Sie haben eine Geschichte der Spaltung erzählt und bei jeder Gelegenheit die Union als einen Moloch dargestellt, der britische Steuergelder verschwendet. In diese Stimmung hat der britische Premierminister Cameron dann unverantwortlicher Weise ein Referendum abgehalten. Am Morgen danach erwachte Europa dann mit der schrecklichen Nachricht, dass die Saat der Zwietracht und des Nationalismus aufgegangen ist. Ich verstehe, dass viele Menschen Vorbehalte gegenüber der Union haben. Der soziale Zusammenhalt kommt dort leider wirklich zu oft zu kurz. Aber das können wir nur gemeinsam ändern. Indem wir uns zusammen für eine sozialere und gerechtere Europäische Union einsetzen. Der Nationalismus ist eine Sackgasse. Keines der großen Probleme - vom Klimawandel über eine gerechte Steuer- und Handelspolitik bis zur Zukunft der Arbeit oder der Digitalisierung - können wir allein als Nationalstaat Österreich lösen.

Was sind die wichtigsten Themen für die EU-Wahl?

Schieder:Die EU ist in den vergangenen Jahren falsch abgebogen. Die Interessen von Konzernen standen zu oft im Mittelpunkt und vielfach wurde eine verfehlte Liberalisierungspolitik betrieben, die den Menschen in Europa nichts gebracht hat. Wir brauchen einen Kurswechsel in Europa. Die Politik muss wieder die Interessen der Menschen in den Mittelpunkt stellen und nicht die der Konzerne. Da geht es darum Steuergerechtigkeit in Europa herzustellen, die Sozialsysteme in Europa abzusichern und auszubauen, den Klimawandel endlich engagiert anzugehen und für die Förderung der Jobs der Zukunft zu nutzen.

Apropos Konzerne und Steuergerechtigkeit: Wie kann man dafür sorgen, dass große internationale Konzerne Steuern zahlen?

Schieder: Derzeit können sich Konzerne aussuchen, wo sie die niedrigsten Steuern zahlen. Und sie nutzen das aus, um die EU-Staaten gegeneinander auszuspielen. Europas Staaten entgehen dadurch fast 1000 Milliarden Euro jährlich durch Steuerbetrug, allein in Österreich sind es 12,9 Milliarden Euro. Dieses Geld fehlt uns für Bildung, Gesundheit, oder den Aufbau der Infrastruktur. Für mich ist das größte Problem in Europa die immer größer werdende Ungleichheit. Hier braucht es einen Kurswechsel. Große Konzerne müssen endlich ihren fairen Beitrag leisten, damit der Steuerdruck auf Arbeitnehmer und KMUs nicht immer größer wird. Dafür brauchen wir Mindeststeuersätze in Europa, die kein Staat unterschreiten darf. Und eine viel stärkere Bestrafung des Steuerbetrugs in Europa. Hier müssen nicht nur die Konzerne, sondern auch alle, die beim Betrug helfen, zur Verantwortung gezogen werden. Da darf es keine Toleranz geben. Aber auch beispielsweise eine Finanztransaktionssteuer für Börsenspekulation. All das ist nur mit einer starken Sozialdemokratie möglich.

Ein großes Thema in Europa ist das Lohn- und Sozialdumping. Wie lässt sich das lösen?

Schieder: Ein Europa, indem Ausbeutung, Lohn- und Sozialdumping ständiger Alltag sind, kann nicht erfolgreich sein. Deshalb müssen wir konsequent auf die Einhaltung der Spielregeln achten. Wer von Ausbeutung profitiert, muss streng bestraft werden. Wer von EU-Beiträgen profitiert, darf diese nicht verwenden, um unfairen Wettbewerb zu betreiben. Das müssen wir sicherstellen. Wenn wir diesen ständigen Solidaritätsbruch in Kauf nehmen, dann bleibt von der EU am Ende wenig übrig.

Wagen wir zum Schluss einen Blick in Zukunft: Bleibt angesichts des europaweit aufkeimenden Nationalismus überhaupt noch Grund zum Optimismus?

Schieder: Schon Victor Adler hat gesagt, dass er aus Prinzip Optimist ist, weil nur der Optimismus etwas zuwege bringt. Ich sehe das genauso. Wenn wir uns beispielsweise die „Friday for Future“-Demonstrationen in ganz Europa ansehen, dann haben wir jeden Grund für Optimismus. In ganz Europa demonstrieren Schülerinnen und Schüler für die Zukunft unseres Planeten. Eine Jugend, die sich so einbringt, die mit viel Engagement und Optimismus für eine bessere Welt kämpft, stimmt mich sehr hoffnungsfroh für die Zukunft. Von diesem Optimismus müssen wir uns anstecken lassen. Die Sozialdemokratie hat eine stolze und mutige Vision. Die Sozialdemokratie steht für ein sozialeres und gerechteres Europa. Für den ständigen Einsatz, dass es besser wird. Aber auch dafür, dass der Nationalismus in die Schranken gewiesen wird. Wir haben bei der Erstellung unseres Wahlprogramms gesehen, wie viele Menschen sich eingebracht haben, um mit uns an einer Vision für Europa zu arbeiten. Dieses Engagement und diese Begeisterung nehmen wir in die Wahlauseinandersetzung mit. Gemeinsam werden wir erfolgreich sein, davon bin ich überzeugt.

Zur Person:

Andreas Schieder, geboren 1969 in Wien, startete seine politische Laufbahn in der Sozialistischen Jugend und sammelte dort unter anderem als Präsident der Europäischen JungsozialistInnen (ECOSY) bereits internationale Erfahrungen. Der studierte Volkswirt und begeisterte Wanderer und Koch ist seit 2006 – mit fünfjähriger Unterbrechung für die Zeit seiner Tätigkeit als Staatssekretär – Abgeordneter zum österreichischen Nationalrat. Bei den EU-Wahlen 2019 kandidiert Andreas Schieder als Spitzenkandidat der SPÖ.

Foto: Sebastian Philipp

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